Die Elbe fließt unaufhaltsam. Sie gräbt ihr Bett in Stein und Ufer – und sie formt Menschen. Wer hier rudert, weiß um die Härte des Stroms, um die Kälte am Morgen, um die tausenden Trainingskilometer, die Jahr für Jahr im Bugwasser verschwinden. „Elbe rudern macht hart“ – ein Satz, der mehr ist als nur Redewendung. Es ist eine Dresdner Identität, ein Versprechen an die Geschichte und die Zukunft.
Am 6. und 7. September 2025 wird dieses Versprechen eingelöst, wenn in Račice, nur wenige Stunden von Dresden entfernt, die U23-Europameisterschaften im Rudern stattfinden. Dort geht ein Boot an den Start, das schon auf den ersten Blick nach Tradition riecht: ein reiner Dresdner Vierer ohne Steuermann.
Im Boot sitzen: Tom Olbrich (Dresdner Ruderverein), Johann Svoboda, Carl Sgonina und Franz Rudolph (alle Dresdner Ruder-Club). Trainiert werden sie von Tim Grohmann, der ebenfalls auf der Elbe das Rudern lernte. Er krönte seine Karriere mit dem Olympiasieg in London 2012 im Doppelvierer, der mit Karl Schulze und Philipp Wende fast komplett sächsisch besetzt war. Heute ist Tim Grohmann der Heimtrainer der U23-Ruderer am Bundesstützpunkt Dresden.
Stehen auf den Schultern von Riesen
Man muss in den Geschichtsbüchern blättern, um zu verstehen, wie tief die Dresdner Ruderschule verwurzelt ist. 1968 in Mexiko: Frank Forberger, Dieter Grahn, Frank Rühle und Dieter Schubert gewinnen im Vierer ohne Gold. Vier Jahre später, 1972 in München, wiederholen sie dieses Kunststück – erneut Olympiasieger, erneut unbezwingbar. Zweimal in Folge wird der Dresdner Vierer ohne DDR-Mannschaft des Jahres.
Und schon damals war Dresden eine Quelle weiterer Sternstunden: Peter Kremtz, Roland Göhler, Manfred Gelpke, Klaus Jacob und Steuermann Dieter Semetzky holten bei Olympia 1968 im Vierer mit Steuermann Silber. Eine komplette Dresdner Mannschaft – die ebenfalls bis heute unvergessen bleibt.
Zum 50-Jährigen Jubiläum des Olympiasiegs von München erzählte Dieter Grahn vom Empfang in der Heimat: „Wir wurden durch Dresden in offener Karosse zum Olympia-Empfang kutschiert – unvergessen! Dieses Olympiagold war ein Sieg des Willens.“ Solche Sätze sind keine Legenden. Sie sind Erinnerungen, die den Takt geben, wenn neue Generationen die Skulls und Riemen ins Wasser setzen.
Junge Dresdner treten in große Fußstapfen
Nun sitzen wieder junge Dresdner gemeinsam im Boot. Sie alle wurden vom Rudern auf der Elbe geprägt. Sie rudern nicht nur gegen acht Gegner bei dieser Europameisterschaft – sie rudern gegen die Frage: Kann man noch einmal anknüpfen an das, was einst Dresdens Vierer weltberühmt machte?
Ein weiteres Kapitel: Dresdner im Zweier und Mixed-Achter
Auch Lino Zastrow (USV TU Dresden) vertritt die Landeshauptstadt in Račice. Er startet im Zweier ohne zusammen mit Julius Kaim (TVK Essen) und zusätzlich im neu eingeführten Mixed-Achter. Damit steht er nicht nur für die Tradition der Dresdner Ruderschule, sondern auch für deren Zukunft – zwischen bewährter Bootsklasse und innovativem Format.
Geschichte lebendig halten
Der junge Vierer aus Dresden rudert nicht nur um Platzierungen, nicht nur um Medaillen. Er rudert, um ein Kapitel weiterzuschreiben, das vor mehr als fünfzig Jahren begann. Um Geschichte lebendig zu halten. Um sich ins Licht jener zu stellen, die damals in Mexiko und München den Ruderhimmel eroberten.
Die Elbe fließt unaufhaltsam. Und mit ihr – die Dresdner Ruderer.

